bmb+f Bibblebenslanges Lernen
Eine Restauflage des vollständigen Abschlußberichts  steht bei uns noch zum Sonderpreis von 10,-- Euro + Porto zur Verfügung.
Direktbestellung in unserem Onlineshop!

Abschlußbericht des Teilvorhabens der Freien Akademie e.V.:


Multimediale Qualifizierungsangebote
der Freien Akademie e.V. Bonn
für Menschen mit Behinderungen

 

„Ja, aber die sehen doch gar nichts.“

Ungläubiges Staunen ernte ich immer, wenn ich davon erzähle, dass bei der Freien Akademie e.V. in Bonn zwei Blinde am PC arbeiten. Was für Außenstehende unmöglich erscheint, ist für die Betroffenen inzwischen zu einer ebenso großen Selbstverständlichkeit geworden, wie für andere PC-Benutzer auch. Surfen im Internet, Chatten in Chatrooms, Teilnahme an Audio-Video-Konferenzen, Telefonieren über das Internet, Datenaustausch, Download von Text-Dateien, Programmen, Musik aus dem Internet, Kommunikation über das Internet usw. Es gibt eben nur die eine Einschränkung: sie sehen nichts.

Diese Tatsache ist bedauerlich und für Sehende schwer vorstellbar, aber es ist das wahre Leben und die Betroffenen haben als Geburtsblinde dies als das normales Leben erfahren oder müssen sich als später Erblindete darauf einstellen und damit abfinden, denn natürlich sehen sie auch im Alltag nichts. Auch ohne optischen Input sind sie in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, sich in vertrauter aber auch in fremder Umgebung ohne größere Anstrengungen und unauffällig zurecht zu finden und ein Leben zu führen, das sich nicht grundsätzlich, sondern lediglich im Detail von dem Leben anderer, nicht sensorisch behinderter Menschen unterscheidet.

In unserem Teilvorhaben wollten wir deshalb auftragsgemäß den Versuch unternehmen, die Möglichkeiten und Chancen multimedialer Qualifizierungsangebote für Menschen mit Behinderungen zu ermitteln. Wir haben deshalb die Problemstellungen zugespitzt und die Fragen gestellt:

- Können Blinde am PC und im Internet lernen oder beruflich tätig sein?

- Können Blinde reiten lernen?

- Können Blinde auch in einem kombinierten Online-/Praxis-Kurs reiten lernen?

- Wie können wir mit Hilfe von Online-Lernprogrammen nützliche Kenntnisse über diese Sportart und ihre praktische Ausübung auch an sehbehinderte vermitteln?

Die beiden ersten Fragen können wir eindeutig mit Ja beantworten und wir mussten feststellen, dass diese eindeutige Beantwortung stets nur bei Sehenden auf Skepsis stieß. Blinde behandelten diese Fragen, wie alle übrigen Menschen auch nach den eigenen Vorlieben und Interessen. Es gibt eben Menschen, die nicht reiten wollen und es gibt Menschen, die nicht am PC arbeiten wollen. Auch in diesem Punkt unterscheiden sich Blinde nicht von der übrigen Menschheit.

Zielgruppe: sensorisch Behinderte

Automatisch stellt man sich auf Schwerhörige ein, durch lauteres Sprechen, also durch Anpassung der Kommunikation an die Bedürfnisse des sensorisch behinderten – in diesem Fall – hörgeschädigten Menschen. So ist auch die Kommunikation mit Blinden anzupassen, indem man Bilder und andere visuelle Eindrücke beschreibt. Was im Theater als Mauerblick umschrieben wird, einem Kommunikationsmittel, mit dem Schauspieler auf der Bühne nicht sichtbare Sachverhalte schildern, findet auch in der Kommunikation mit Blinden statt.

Gerade der PC mit seinen technischen Möglichkeiten bietet für Blinde ein Kommunikationsmittel an, das sie weitgehend unabhängig von direkt gesprochener, sogenannter „face-to-face“  Berichterstattung macht. Spezielle Blindenhilfsmittel machen es möglich.

Viele Menschen tragen eine Brille, um die Sehkraft zu verstärken und die aufzunehmenden Bilder zu schärfen. Im Laufe des Lebens verändern die Augen die Qualität ihrer „Datenübertragung“. Beginnend bei der „Programmierung“ im Säuglingsalter, wenn Neugeborene lernen, die empfangenen Bilder mit den Erfahrungen des Greifens und Begreifens zu koordinieren, bis zur „Alterssichtigkeit“, wie man das Nachlassen von Sehkraft und Sehschärfe als biologischen Alterungsprozess bezeichnet. Dramatische Entwicklungen gibt es häufig durch Krankheiten, Unfälle oder Gewalteinwirkungen, die die persönliche Lebensqualität schleichend oder schlagartig verändern.

Blindheit bedeutet laut medizinischer Literatur im engeren Sinne angeborenes oder erworbenes völliges Fehlen des Sehvermögens. Im weiteren Sinne werden auch starke Sehschwäche oder hochgradige Gesichtsfeldeinschränkung als Blindheit bezeichnet. Von hochgradiger Sehbehinderung wird dann gesprochen, wenn nur mehr ein geringes Rest-Sehvermögen vorhanden ist

Die Ursachen erworbener Blindheit bzw. hochgradiger Sehbehinderung sind sehr vielfältig (z.B.: senile Makuladegeneration, die durch "Zuckerkrankheit" verursachte Retinopathia diabetica, andere Gefäßerkrankungen der Netzhaut, Glaukom = "grüner Star", Unfallfolgen, etc.). Im Blindensport haben diese Erkrankungsformen eher geringere Bedeutung, da sie meist erst in fortgeschrittenem Lebensalter zu hochgradiger Sehbehinderung bzw. Erblindung führen.

Ein Fokus unserer Untersuchung: Blindensport

Nur wenige davon Betroffene sind in der Lage oder willens, sich unter diesen für sie sehr schwierigen persönlichen Lebensumständen sportlich zu betätigen. Davon ausgenommen sind jedoch Blindheit bzw. hochgradige Sehbehinderung als Folge von Unfällen, die oft schon in jungen Lebensjahren eine Zäsur im Leben des Einzelnen bedeuten. Betroffene können im Sport oft neuen Lebensmut schöpfen. Von besonderer Bedeutung im Blindensport sind angeborene Blindheit bzw. hochgradige Sehbehinderung, deren Ursachen ebenso mannigfaltig sind. Hier gilt es, den Betroffenen so früh wie möglich den Zugang zur adäquater sportlicher Betätigung zu eröffnen. Wir wollten mit unserer Untersuchung neue Zugangsmöglichkeiten schaffen.

Computer und Internet für blinde Menschen

Die Gesetzgeber achten dankenswerterweise zunehmend darauf, Benachteiligte getreu dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, nach welchem niemand wegen einer Behinderung benachteiligt werden darf [1], in ihre Überlegungen und Gesetzesinitiativen zu integrieren. Körperliche Gebrechen können nicht per Gesetz beseitigt werden und hier sollen auch keine Forderungen gestellt werden. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass der Auftrag des Grundgesetzes für alle Staatsbürger gilt. Mit den neuen Medien jedenfalls können die Chancen steigen, dieser Menschenrechtsvorschrift des Grundgesetzes näher zu kommen, sofern die technischen Möglichkeiten tatsächlich genutzt und die Programmangebote an den Bedarf dieser Zielgruppe angepasst werden. Bei entsprechender Ausbildung sind Blinde und Sehbehinderte in der Lage, diese Programme in gleicher Weise zu nutzen, wie nicht Behinderte.

EDV-Hilfsmittel – Ein- und Ausgabegeräte

Braillezeilen

Mit der 1825 von dem Franzosen Louis Braille erfundenen Punktschrift, die Buchstaben und Ziffern in Punktcode darstellt, können Blinde Texte ertasten und somit lesen.

Die Blindenschrift hat sechs oder acht Punkte (Computerbraille) in zwei Reihen mit jeweils drei (bzw. vier) Punkten. Verschiedene Punkte bzw. Punktkombinationen werden von der Rückseite mit entsprechenden Schreibmaschinen in das Papier gedrückt. Dabei entspricht jede dieser Kombinationen einem Zeichen aus den auch bei uns im Schriftverkehr gebräuchlichen Zeichen. Ein Blinder fährt mit den Fingerkuppen über die erhabenen Punkte, um diese zu lesen. Bei entsprechendem Training erreicht man damit in etwa die normale Vorlesegeschwindigkeit. Nach einem ähnlichen System funktionieren auch eine Blindenkurzschrift und eine Blindennotenschrift.

Mit der Braillezeile als Computerzubehör werden 40 oder 80 Zeichen pro Zeile vor der Tastatur ausgegeben. Blindenschriftdrucker geben beliebige Texte auf die gleiche Weise aus, wie „Blindenschreibmaschinen“ (Punktschriftmaschinen).

 

Abb. 4.8-1 Das Punktschriftalphabet von Louis Braille

Grafische Betriebssysteme, Sprachausgabe und Lesesysteme

Da viele Blinde und Sehbehinderte, insbesondere späterblindete Menschen die Blindenschrift nicht beherrschen, ist für sie der Einsatz von Lesesystemen erforderlich. Diese Systeme werden aber auch in Verbindung zu Braillezeilen genutzt, da sie insbesondere auch die Navigation in Browsern erleichtern. Preiswerte Vorleseprogramme für Deutsch, Englisch, Französisch, Holländisch, Italienisch, Russisch, Spanisch und Portugiesisch, die sich auch für Kinder und Analphabeten eignen, bieten wir unseren Lernern bereits ab 30 Euro an. Wir arbeiten jedoch zur Zeit noch an Verbesserungen für den speziellen Einsatz für Blinde, um die Handhabung über die Tastatur zu erleichtern.

Großschriftsysteme

Solche Programme sind natürlich nur für Sehbehinderte von Nutzen, die über genügend restliche Sehkraft und Sehschärfe verfügen. Für diese Zielgruppen ist neben der Schriftgröße auch die Verwendung kontrastreicher Farben nützlich und erforderlich. Um Internetauftritte „barrierefrei“ zu gestalten, sind einfachere grafische Lösungen meist besser, als aufwendige.

Für die vergrößerte Darstellung von Bildschirminhalten gibt es sehbehindertengerechte Software zur Bildschirmvergrößerung (Lupe), die mit verschiedenen Betriebssystemen funktionieren und die sich an die persönlichen Anforderungen der Nutzer durch einstellbare Parameter anpassen lassen. Sind die Einstellungen abgespeichert, laufen diese Programme im Hintergrund und belegen keinen wertvollen Bildschirmplatz.

Taktiler Interaktions-Monitor (TIM)

Als Weltneuheit auf der CeBIT 2002 in Hannover vorgestellt, wurde der neue Blindenmonitor TIM (Taktiler Interaktions-Monitor) des Wuppertaler Ingenieurwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Schlingensiepen von der Bergischen Universität von der Computerzeitschrift CHIP zum CeBIT-Highlight des Jahres erklärt.

 

Abb. 4.8-2: Der Interaktive Blindenmonitor (TIM) besteht aus einem Display mit 256 Stiften, die in einer 4 x 4 cm großen Lochmaske mit 16 x 16 Stiften angeordnet sind. Die Stifte heben und senken sich wie bei einem Blindenschriftdisplay und stellen somit ein ertastbares Bild dar entsprechend der Bildschirmausgabe des entsprechenden Piktogramms oder Bildschirmausschnittes. Die übrigen Tasten werden zur Programmsteuerung genutzt. (Foto: Gunnar Matschulat, ABTIM)

Ähnlich wie bei einem Blindenschriftausgabedisplay werden von TIM bildhafte Informationen und Texte erstmalig ertastbar. Vor eine speziellen Kamera gehaltene kontrastreiche Objekte und Grafiken werden live als tastbare Bilder auf den Video TIM übertragen. Das in Echtzeit arbeitende Display - von der Freien Akademie bereits vor der Hannovermesse getestet und beim Lernfest der Stadt Bonn im September 2001 vorgestellt - beinhaltet 256 aufrecht stehende Taststifte, die durch ein vier mal vier Zentimeter großes Lochraster gehoben oder gesenkt werden.

Mit TIM beginnt für Blinde ein neues Zeitalter computergestützter Kommunikation. Prof. Dr.-Ing. Schlingensiepen entwickelte den Monitor in Kooperation mit Gunnar Matschulat von der Wuppertaler Firma ABTIM. Um Inhalte auf dem TIM-Display ertastbar zu machen, müssen sie vorher durch elektronische Bildverarbeitung vereinfacht werden. Farbige Darstellungen werden zum Beispiel auf schwarz/weiß reduziert oder durch - ebenfalls neu entwickelte - Vibrationstechniken umgesetzt.

Dieses noch in der Entwicklung befindliche Gerät ist besonders für die Früherziehung blind geborener Kinder geeignet, z.B. mit interaktiven Fühlspielen, für die integrative Beschulung, z.B. mit Geometrie-, Formel- und Noten-Darstellungen und Blinden-Arbeitsplätze, z.B. mit Akten, Organigrammen, PC-Grafiken und Text-Layouts. TIM eröffnet blinden Menschen aber auch größere Selbständigkeit, z.B. einen Fahrplan oder einen Kassenbon abzulesen. Späterblindete können mit TIM ohne Kenntnis der "Braille"-Blindenschrift wieder lesen und auch mit Neuen Medien umgehen, z.B. mit GPS-Stadtplänen, SMS und WAP.

Online-Lernen für Blinde

In unserem Teilprojekt haben wir die Erfahrungen mit den wichtigsten Hilfsmitteln für einen Blindenarbeitsplatz sammeln und vertiefen können. Wichtigste Voraussetzung für die Nutzung von PC und Internet durch Blinde ist die Alphabetisierung der Blinden. Lesen und Schreiben lernen blinde Kinder ebenso wie andere in der Schule. Schwieriger ist es für Menschen, die im Laufe ihres Lebens erblinden und sich verzweifelt an die Reste ihrer Sehfähigkeit klammern und meist zu spät damit beginnen, sich die Kenntnisse der Blindenschrift anzueignen und zu trainieren. Für die Arbeit am PC ist das wichtigste Blindenhilfsmittel die „Braillezeile“, also die einzeilige Ausgabe von Schrift auf einem Blindenschriftzusatzgerät (vgl 4.8.4.1). Damit lassen sich alle Texte vom PC ablesen, die in Einzelbuchstaben gespeichert sind. Damit sind also alle Texte der gebräuchlichen Officeprogramme lesbar, damit sind auch die gebräuchlichen Internetbrowser (z.B. Internet Explorer, Netscape, T-Online, Yahoo usw.) zu lesen, sofern die Zeichen mit einem „Screenreader“ zum Ausgabegerät transportiert werden. Mit diesen Zusatzprogrammen werden die Bildschirminhalte gewissermaßen gefiltert, so dass nur die reinen Texte auf dem Blindenschriftdisplay ausgegeben werden und die „Kommandosprache“ des Computers unterdrückt wird.

Als weiteres wichtiges Hilfsmittel sind die Vorleseprogramme zu nennen, die Bildschirminhalte in Sprache ausgeben (vgl 4.8.4.2). Hier besteht allerdings das Problem, dass geschriebene Wörter nicht immer eins zu eins in Sprache umgesetzt werden können. Das gilt nicht nur für Fremdwörter im entsprechenden Text, die nicht in der Herkunftssprache sondern eben nach deutschen Ausspracheregeln gelesen werden, sondern auch für Kommando- und Systembezeichnungen. Es besteht die Möglichkeit, dass jedes einzelne Wort über ein entsprechendes Programm automatisch vom System korrigiert wird - so wie eine Autotexteingabe Tippfehler automatisch korrigiert. Somit kann beispielsweise das Wort „Windows“, das in deutscher Aussprache von den Leseprogrammen normalerweise als „Windoofs“ gelesen wird, in „Windoos“ umformatiert und auf diese Weise „englisch“ ausgesprochen werden. Auch deshalb ist immer eine Kombination von Brailleschrift und Sprachausgabe anzustreben. Mit Hilfe dieser Programme ist es möglich, die meisten Lernprogramme auch Blinden anzubieten. Die Frage ist also nicht, wie können Lernprogramme für Blinde hergestellt werden, sondern wie können marktfähige Lernprogramme so gestaltet werden, dass sie auch von Blinden barrierefrei genutzt werden können.

Dabei muss auch die persönliche Betreuung mit einem intensiven Tutoring unterstützt werden. Dies ist – ebenfalls web-basiert - durch moderierte Internetforen und in Chaträumen möglich. Auch Internetprogramme wie Netmeeting und Yahoomessenger können von Blinden genutzt werden. Als die für uns geeignetste internetfähige Variante haben wir sehr erfolgreich das Audio-Video-Programm CentraOne (Centra Software Inc., http://www.centra.com/ - http://www.lernen.org/Online-Kurse/AV-Konferenz.htm) eingesetzt. In unserem virtuellen Klassenraum können bis zu 25 Nutzer über normale Internetverbindungen online an Vorträgen teilnehmen, mitdiskutieren, an Abstimmungen und Befragungen teilnehmen und vorbereitete Übungen und Test absolvieren. Auch Application Sharing (gleichzeitiges Arbeiten mit gemeinsamen Anwendungen) über ein sogenanntes Whiteboard (gewissermaßen die „Tafel“ im virtuellen Klassenraum) ist möglich. Dabei können räumlich verteilte Nutzer zum Beispiel zeitgleich dasselbe Dokument bearbeiten.

Unsere Test-Anwendungen haben gezeigt, dass in kleineren Klassen größere Lernerfolge erzielt werden können. Wir plädieren also für die Begrenzung der Teilnehmerzahl auf maximal 10 Lerner bzw. die Aufteilung in entsprechende Arbeitsgruppen. Vorträge können im Plenum (mit bis zu 25 Personen) gemeinsam verfolgt werden. Für intensivere Lerneinheiten ist es sinnvoll, die Teilnehmer aus dem Online-Plenum in entsprechend kleinere Online-Arbeitsgruppen aufzuteilen.

 

Abb. 4.8-3 Audio-Video-Konferenz im Virtuellen Klassenraum der Freien Akademie

In unseren Online-Sitzungen haben wir nachgewiesen, dass auch Blinde an solchen Schulungen teilnehmen können, wenn die bekannten Einschränkungen berücksichtigt werden. Die Übertragung des Videobildes des jeweiligen Sprechers kann unterbleiben, wie wir auch in anderen Veranstaltungen im virtuellen Klassenraum häufig darauf verzichten, weil die ständige Beobachtung einer Person (also auch von Schülern) diesen möglicherweise irritiert und die übrigen von den Gesprächsinhalten ablenkt. So raten wir ohnehin zu einem sparsamen Umgang mit diesem Mittel. Es ist Aufgabe der Moderation, Videobilder bei Bedarf einzublenden. Zum Kennenlernen ist das Videobild als Mittel der Vertrauensbildung nützlich, in laufenden Schulungen kann es aber eingefroren oder abgeschaltet werden.

Die Nutzung des Whiteboards im virtuellen Klassenraum ist auch für Blinde grundsätzlich nutzbar, allerdings nur sehr eingeschränkt. Sinnvoll ist es ohnehin, die entsprechenden Unterrichtsmaterialien rechtzeitig vor einer Online-Veranstaltung den Teilnehmern zur Verfügung zu stellen. Das Selbstlernen ist geradezu die Voraussetzung für gemeinsame Online-Lernveranstaltungen. Auch in diesem Punkt unterscheidet sich das Lernen im virtuellen Klassenraum nicht grundsätzlich vom historischen Frontalunterricht oder von Seminaren und Arbeitsgruppen.

Im Sinne einer Integration von Behinderten halten wir es deshalb für notwendig, die allgemein zugänglichen Bildungsangebote barrierefrei für Behinderte zugänglich zu machen. Es ist auch gar nicht erforderlich, Spezialangebote für Blinde zu erstellen, sondern vielmehr bei geeigneten Lernprogrammen dafür Sorge zu tragen, dass sie barrierefrei gestaltet werden.

Dazu gibt es bereits einige Initiativen, die Regeln für die behindertengerechte Gestaltung von Webseiten erarbeitet haben (z.B. Aktion Mensch, Artikel hier:  „Digitale Chancen“, Link hier: http://www.digitale-chancen.de/iob/grafisch/netscape/links/indexkatbarfr.html). Es ist deshalb im Sinne des bundesweiten Leitspruches „Internet für Alle“ und auch im Sinne des noch weiter gefassten Ziels „E-Europe“ nur konsequent, diese Regeln auch bei der Erstellung von internetbasierten Lernangeboten anzuwenden.

Ein Praxisprojekt: Reitsport für Blinde

Die technischen Voraussetzungen zur Arbeit am Computer sind vielfältig und überzeugend. Dennoch hat sich das E-Lerning noch nicht durchgesetzt - schon gar nicht bei Blinden und Sehbehinderten. Um auf dieses Problem einzugehen, boten wir eine "Motivationssportart" an, die sich im Katalog der Sportarten für Blinde und an den Blindenschulen schon lange etabliert hat: "Reitsport für Blinde". Reiten und Fahren (gemeint sind hier natürlich Pferdegespanne) gehören zu den wenigen Sportarten, die Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam ausüben können.

Für die meisten sinnesgeschädigten, körper- als auch geistigbehinderten Menschen stellt es kein Problem dar, Reiten oder Fahren zu erlernen. Genauso wie Nichtbehinderte erleben gehandicapte Menschen Sport als befriedigende, erfüllende Freizeitgestaltung und Möglichkeit zu sozialen Kontakten. Zusätzlich bietet sich ein Ausgleich von behinderungsbedingter Bewegungsarmut. Der Pferdesport ist mit speziellen Hilfsmitteln und besonders geschulten Pferden auch Schwerbehinderten zugänglich. Blinde Reiter nutzen akustische Hilfen. Im Reitsport können Sehbehinderte den Synergieeffekt nutzen, dass das Pferd als Sportpartner das Gelände sehen kann. Leistungssport, also Wettkämpfe und Turniere, wird ebenfalls von vielen behinderten Reitern und Fahrern betrieben. So war eine deutsche Mannschaft beim Dressur-Reiten der Paralympics 2000 in Sydney vertreten. Dies ermutigt gehandicapte Menschen, sich selbst aktiv sportlich zu betätigen.

Blinde und Mobilität (Blindenstock, Führhund, Pferd, Interaktion)

Das Bild des Blinden mit Stock hat sich den Sehenden eingeprägt. Es ist ein Erkennungsmerkmal seiner Mobilität des Ertastens seiner Umwelt und seiner Orientierung. Der Hund überträgt als Blindenführhund die Informationen, die er ihm im Laufe seiner Ausbildung erhalten hat, auf die Situation und stimmt dies auf das "Kommando" ab. Auf diese Weise trägt er zur Mobilität "seines" Blinden bei. Mobilität durch Beziehung und Kommunikation!

Das Pferd übernimmt ähnliche Aufgaben, die allerdings auf Grund der Nutzung des Tieres innerhalb einer anerkannten Sportart eine andere Bedeutung haben. Raum und Anforderungen der Mobilität sind bekannt. Die Anforderungen sind vergleichbar.

In den letzten Jahren ist das Interesse am Reiten gerade bei Kindern und Jugendlichen stark angestiegen. Während normalsichtige Kinder und Jugendliche problemlos Zugang zu vielen Reitvereinen finden und "spielend" Reiten lernen, sind die Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche mit Sehbeeinträchtigungen in dieser Hinsicht sehr eingeschränkt! Das Pferd kann aber als einfühlsames und kluges Tier auf die Beeinträchtigungen Rücksicht nehmen und diese ausgleichen. In der Sportart Reiten ist ein disziplingetreues gemeinsames Sporttreiben von beeinträchtigten und normalsichtigen Menschen möglich.

Zwischen Reiter und Pferd gibt es eine non-verbale Kommunikation durch Gesten, Bewegungen der Körperteile, Gesichtsausdruck, Augenverhalten, Körperhaltung und Berührungsverhalten. Das private Umfeld und die sozialen Kontakte der Blinden spielen eine große Rolle, die Möglichkeiten der Kommunikation sind im alltäglichen Rahmen bereits eingegrenzt, da die Kommunikation mit Sehenden von ebendiesen festgelegt wird. Der "Blickkontakt" und die Körperhaltung der Blinden, die körperliche Aufrichtung, also das gesamte Ausdrucksverhalten, das nonverbal während der Kommunikation Sehender Einfluss nimmt, ist verändert.

Die Kommunikation mit dem Tier beginnt in der Auseinandersetzung, dem Kennenlernen, der Fütterung, dem Beobachten und der Bodenarbeit mit dem Pferd. Die unmittelbare Verbindung von Mensch und Pferd wird jedoch durch den "Reitsitz" gewährt. Die Verständigung erfolgt über die "Hilfengebung" des Reiters, diese Hilfen sind ebenfalls als "Sprache" zu bezeichnen. Über seine Hilfen befragt und antwortet der Reiter in der Kommunikation mit dem Pferd. Das Pferd antwortet mit seinem Verhalten, seinen Bewegungen und Bewegungsrichtungen, auf die der Reiter wiederum reagieren muss.

Während der Mensch seine Sprache (verbal und nonverbal) verstandesgesteuert (bewusst und unbewusst) einsetzen kann, agiert das Pferd instinktgesteuert über Lautsprache und Körpersprache, die sich aus dem Leben im Herdenverband entwickelt hat. Zusätzlich ist das Pferd zu komplexen Lernleistungen im Rahmen des kommunikativen Austauschs fähig.

Reitkonzepte für Blinde und/oder Sehgeschädigte

Das Reitkonzept für Blinde wurde in Form von Kurzvorträgen an der Universität Göttingen vorgestellt. Die Vortragstexte wurden als Diskussionsgrundlage in unser Internetforum eingestellt und zunächst asynchron diskutiert. Damit erhielten die Interessenten die Chance, sich zeit und ortsunabhängig mit dem Thema theoretisch auseinanderzusetzen. Die Einbeziehung ganzheitlicher Aspekte der Verbindung von Mensch und Tier gibt einen Rahmen vor, der soziale Grundlagen und Aufgaben integriert. Außerdem führt die Berücksichtigung blindenbezogener Aspekte der Haltung und Bewegung durch Ausfall des visuellen Sinnes zu Schwerpunktsetzungen der Haltungsschulung, der Gleichgewichtsschulung und des Gesundheitswertes im Reiten allgemein. Das Lernziel besteht in der Gewährleistung eines gesundheitssportlichen Bewegungsangebots im Freizeitbereich zur Integration der Betroffenen beizutragen, Mut zu machen, Mobilität neu und anders zu erleben, und Reitlehrer mit der Problematik dieses Behindertensportes vertraut zu machen, und schließlich Reitvereine zur Schaffung von günstigen Hilfsmitteln zur Orientierung zu veranlassen. Unser Angebot richtete sich also auch nicht ausschließlich an Blinde sondern vielmehr auch an deren Betreuer und Reitlehrer, deren Problembewusstsein für die Schulung blinder Reiter geweckt und geschärft werden muss.

Niemand würde sich freiwillig in ein Flugzeug setzen, wenn der Pilot ausschließlich über theoretische Kenntnisse des Fliegens verfügt, selbst wenn er den High Score am Flugsimulator geknackt hat. So kann auch die Vermittlung von Kenntnissen im Reitsport nicht ausschließlich online stattfinden. Und spätestens dann, wenn man – wie in diesem Teil unseres Projektes – die Problemstellungen auf die Spitze treibt, wird die Notwendigkeit sinnvoller Kombination von Theorie und Praxis, von Online- und Offlineveranstaltungen, von Selbstlernphasen und Präsenzschulungen – mit einem Wort: von Blended Learning (auf deutsch: kombiniertem Lernen) deutlich.

Ein wesentlicher Bestandteil der Blindenpädagogik erscheint uns gewissermaßen die Unterrichtung der Nichtblinden zu sein, die nämlich zunächst darüber zu unterrichten sind, wie mit Blinden umzugehen ist, sie als ganz normale Menschen zu betrachten und zu behandeln, die eben nur eine körperliche Einschränkung haben. So berichtet die aus Bonn stammende blinde Tibetologin Sabriye Tenberken von ihrer Schulzeit am Gymnasium für Blinde und Sehgeschädigte in Marburg und dem dort vorherrschenden Prinzip, blinde Menschen nicht zu bevormunden, sondern zu sagen: “probiert es aus, macht etwas, ja versucht es einfach!“ Nach der Gründung einer Blindenschule in Lhasa scheiterte die begeisterte Reiterin zunächst mit ihrem Versuch mit blinden Kindern ihrer Schule zwei Monate lang durch die Provinz Kanding zu reiten, weil der zuständige Gouverneur keine Reisegenehmigung erteilte [2]. Und weiter beklagt sie sich darüber, während ihrer Schulzeit stets unterfordert gewesen zu sein, weil niemand von ihr etwas erwartet habe. Inzwischen hat sie diese Reise nachgeholt und damit auch mit dem religiös bedingten Vorurteil aufgeräumt, dass Blindheit eine Strafe für Verhalten in einem früheren Leben sei, indem Sie das Tabu brach und blinde Kinder aus ihrer Isolation heraus holte. Sie zeigte den Familien und Dorfbewohnern, wozu Blinde in der Lage sind und machte den blinden Kindern selbst Mut, lesen und schreiben - ja sogar reiten zu lernen. So sollen auch unsere Bemühungen dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und Mut zu machen: „Versucht es einfach!“

Zu den allgemeinen Vorurteilen gehört auch dass wir glauben, die Welt sei nur so, wie wir sie sehen - woraufhin wir unsere übrige sensorische Wahrnehmung verkümmern lassen. Die räumliche Wahrnehmung bei Blinden ist zunächst auf die Reichweite der eigenen Hände eingeschränkt, verlängert durch den Langstock als Mobilitätshilfe. Ein Pferd kann deshalb nicht nur als Sportpartner und „Sportgerät“ sondern auch als Mobilitätshilfe empfunden werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der blinde Reiter mit eingeschränktem räumlichen Empfinden die Bewegung eines Pferdes steuern muss.

Der eigentliche Reitunterricht kann natürlich nur mit dem Pferd stattfinden. Mit den theoretischen Grundlagen der Kooperation von Mensch und Pferd können sich blinde Reiter und ihre Trainer gewissermaßen am Simulator auseinandersetzen. Diese Kenntnisse können sehr wohl online vermittelt werden. Blinde sind eine Minderheit, nur ein kleiner Teil dieser Minderheit ist (bisher) tatsächlich in der Lage, die neuen Medien zu beherrschen. Da auch die reitinteressierten wiederum eine Minderheit darstellen, ergibt sich eine sehr geringe Schnittmenge. Da bietet das Internet mit seinen Möglichkeiten des Online-Lernens eine wichtige Ergänzung, Raum und Zeit für diese Zielgruppe zu überwinden, mit moderierten Chats und e-Mail-Austausch aber auch mit Online-Konferenzen im virtuellen Klassenraum, den theoretischen Schulungsbedarf zu decken.

Blended Learning für blinde Menschen

Zunächst einmal ist Online-Lernen für Blinde und Sehbehinderte ebenso ungewohnt wie für Sehende, jedoch hat uns die mehrjährige Zusammenarbeit mit unseren blinden Kollegen gezeigt, wie groß die Bereitschaft zur Nutzung der Neuen Medien ist. Immerhin überraschte uns der eine Kollege (Diplominformatiker mit Examensnote „sehr gut“ und langer Berufserfahrung), indem er ohne fremde Hilfe Hardwarereparaturen und Softwareprogrammierungen vornahm und schneller als manch anderer beispielsweise Programmierungsfehler analysiert und html-Seiten korrigiert, während der andere (Telefonist und Sachbearbeiter) sich verstärkt auf Internetanwendungen und die Nutzung von Officeprogrammen konzentrierte. Beide verfügen also über die besten Voraussetzungen zum selbstgesteuerten Lernen im Internet und sind in der Lage anderen PC- und Internetnutzern wertvolle und hilfreiche Gesprächs- und Chatpartner in Online-Foren zu sein.

 

Abb. 4.8-4: Unsere blinden Mitarbeiter am PC-Arbeitsplatz

Das Internet bietet gerade für Blinde und Sehbehinderte eine sehr viel bessere Chance, gezielte Informationen zu bekommen, als dies beispielsweise durch eine Zeitung oder Bücher möglich ist. Zwar gibt es Blindenzeitschriften und Blindenschriftbücher, sowie Hörbibliotheken - tagesaktuelle Informationen sind über diese Schiene allerdings nur zeitverzögert zu bekommen. Deshalb wurden zunächst die wesentlichen Informationen auf unseren Internetseiten zum Selbststudium zur Verfügung gestellt und durch e-Mail-Kontakte zu den Interessenten sowie durch Internetforen und asynchronen Informationsaustausch mit der Tutorin belebt.

 „Präsenzveranstaltungen“ und Audio-Video-Konferenz

Die Bedeutung von Präsenzveranstaltungen unterscheidet sich wohl kaum von der für nicht Behinderte. Im Umgang mit dem Pferd kommt einer sensiblen Vorbereitung eine noch größere Bedeutung zu. Schließlich handelt es sich um ein großes Tier, das nicht theoretisch begreifbar ist. Auch die Bedeutung von Audiokonferenzen ist plausibel, aber dass wir die Audio-Video-Konferenz auch in der Zusammenarbeit mit Blinden und Sehbehinderten für sinnvoll halten, stößt zunächst meist auf Unverständnis. Auch hier gilt das Eingangszitat: „Die sehen doch gar nichts!“ Aber dann kann ich korrigierend antworten: Aber ich! Die Audio-Video-Konferenz bietet Online-Tutoren durchaus die Möglichkeit, Blinden und Sehbehinderten während einer Sitzung besser helfen zu können. So kann der Tutor Probleme optisch erkennen, wenn ein Programm sich auf dem Bildschirm nicht wunschgemäß verhält, wenn Peripheriegeräte anzuschließen oder Texte einzuscannen sind. Der Blinde oder Sehbehinderte muss dann nur die Webcam auf den Bildschirm, die Geräte oder Vorlage richten, um dann vom Teletutor die entsprechenden Hinweise zu bekommen.

Dass dieses durchaus nicht nur eine Zukunftsvision, sondern bereits Realität sein kann, belegt die Tatsache, dass einer unserer blinden Mitarbeiter im Urlaub eine Webcam mit in die Türkei genommen hat. Von dort aus erhielten wir eine SMS mit der Aufforderung, uns im Virtuellen Klassenraum einzuloggen. Und zu unserer eigenen Überraschung sahen wir dann, zunächst etwas verschwommen, unseren Kollegen am Bildschirm sitzen. Eine leichte Korrektur der Kameraeinstellung per Kommando: „Schärfe einstellen, noch mehr, stopp, etwas zurück ... „ und schon konnten wir auf einem scharfen Videobild nicht nur unseren Kollegen, sondern auch die staunenden Mitarbeiter des PC-Shops sehen, die sich von einem Blinden Installation und Funktionsweise von Webcam und Virtuellem Klassenraum erläutern ließen.

Computerkurse für Blinde

Um Kurse für Blinde online bewältigen zu können, sind also mehrere Barrieren zu überwinden. Zunächst die Skepsis der Sehenden, die Blinden solche Leistungen zunächst nicht zutrauen. Dies ist aber Voraussetzung dafür, Blinden die Chance zu geben, sich in diese ungewohnten Bereiche vorzuwagen und die als Helfer bei sportlichen Betätigungen – wie in unserem Beispiel dem Reiten - unerlässlich sind.

Die Blinden selbst müssen einen „mentalen Doppeloxer“ überwinden: Sie müssen den PC benutzen lernen einschließlich der beschriebenen Programme, Geräte sowie der Brailleschrift und sie müssen die Hemmungen gegenüber einem großen Tier überwinden, das sie ja eben nicht sehen können, dem sie aber voll vertrauen müssen. Zunächst sind allgemeine Informationen über den Reitsport zu vermitteln, die Online zur Verfügung stehen und es sind Übungsstunden für das gemeinsame Arbeiten im Virtuellen Klassenraum vorzusehen. Die eigentliche Einführungsveranstaltung kann dann nur aus der Begegnung mit dem Tier bestehen. Für das Selbstlernen im Netz gelten die gleichen Regeln und Schwierigkeiten, die auch für Sehende gelten.

Abschlussbewertung

Es wäre vermessen zu sagen, dass wir in einem Teil unseres Teilvorhaben alle zuvor genannten Probleme im Alleingang hätten lösen können. Unsere Aufgabe konnte deshalb nur sein, von einem Extrembeispiel ausgehend, die Grenzen des Machbaren im Online-Lernen zu markieren , Türen aufzustoßen, und die Akteure zu motivieren und ermutigen, das scheinbar Unmögliche zu wagen. Unsere Aufgabe im Leitprojekt war nicht die Erstellung von Lernsoftware sondern vielmehr die Erprobung von Lernsoftware für Benachteiligte und speziell auch gerade für Blinde. Das faszinierende Ergebnis für mich persönlich war, dass der Skepsis der Sehenden eine grundsätzliche Bereitschaft der eigentlichen Zielgruppe, der Blinden, gegenübersteht, das schier Unmögliche zu wagen. Ob dies dann in der Praxis umgesetzt wird, werden Angebot und Nachfrage regulieren. Nicht jeder Mensch will eine Fremdsprache lernen, ein bestimmte Sportart betreiben und nicht für jeden ist das Internet das geeignete Lernmedium. Das gilt natürlich auch für Blinde. Die von uns erkannten Prinzipien lassen sich allerdings auch auf andere Situationen des Online-Lernens für Blinde übertragen.

Leider mussten wir feststellen, dass Contentanbieter in der Regel nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Blinden achten. Dies liegt vermutlich darin begründet, dass noch immer die Neigung vorherrscht, Programme möglichst „schön“ zu gestalten und mit vielen Grafiken und Animationen zu arbeiten. Abgesehen davon, dass solche optischen Reize durchaus zu einer Reizüberflutung führen und vom eigentlichen Lernzweck ablenken können, sind sie für Blinde nicht einmal störend aber schlicht überflüssig, ja dann sogar schädlich, wenn sie nicht durch Alttexte (also „alternative Texte“ zur Benennung von Grafiken auf Internetseiten, die als Einblendungen erscheinen, wenn der Mauszeiger darauf zeigt. Für Sehbehinderte und Blinde setzen spezielle Browser die schriftliche Darstellung in Sprachausgabe oder über die Braillezeile um. Der Grafikaufruf kann dann übergangen oder generell ausgeschaltet werden.) oder sonstige erläuternde Texte ergänzt werden. Dies gilt insbesondere für interaktive Programmteile, bei denen Blinde nur deshalb nicht ohne fremde Hilfe auskommen, weil sie nicht eindeutig auf Eingabefelder hingewiesen werden. In der täglichen Praxis bedeutet das die Notwendigkeit, dass Helfer in bestimmten Situationen mit einem Mausklick eingreifen müssen. Das wäre vermeidbar, wenn die Contentersteller bei der Programmierung nur ein paar wesentliche Grundregeln konsequent beachten würden (vgl. hierzu die Regeln der Initiativen, siehe Referenzen von oben, 4.8.5).

Wie im „richtigen Leben“ erzielt man die besten Lernerfolge immer mit der richtigen Mischung. Deshalb haben wir auch nicht den Ehrgeiz entwickelt, das reale Leben ganz gegen die virtuelle Welt zu tauschen und die Behauptung, wir arbeiteten zur Zeit daran, den Laptop auf dem Pferd zu befestigen, wurde natürlich immer schnell als Scherz entlarvt. Aber wie das Praxisbeispiel zeigt, ist Reiten für Blinde und Sehbehinderte eine Bereicherung für Lebensgefühl, sportliche Aktivitäten und Mobilität. Gerade für Minderheiten – wie beispielsweise Blinde und Sehbehinderte und deren Betreuer - bietet sich hier die Chance der virtuellen Zusammenarbeit als Ergänzung zu Präsenzphasen und reduziert Reisekosten und Reisezeiten.

 Norbert Reitz, 1. Vorsitzender

 

 

[1] Grundgesetz, Artikel 3, Abs. 3: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

[2] Interview mit Sabriye Tenberken im Bayerischer Rundfunk, 12.12.2001